Sex auf Rezept – Die Crux von Angebot und Nachfrage

Anfang diesen Jahres löste ein Vorschlag der Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg hohe Wellen der (medialen) Empörung aus. Die pflegepolitische Sprecherin der Partei Bündnis 90/ Die Grünen im deutschen Bundestag schlug doch tatsächlich vor, dass Menschen mit Behinderungen die Kosten für die Inanspruchnahme von Sexualbegleiterinnen von der Krankenkasse erstatte werden sollten. Dieser auf die kurze Formel „Sex auf Krankenschein“ verkürzte Vorschlag sorgte auf fast allen Seiten für zum Teil harsche Ablehnung. Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen sah durch diesen Vorschlag seiner Partei in die Nähe von weltfremden Spinnern gerückt. Der pflegepolitische Sprecher der SPD Bundestagsfraktion Karl Lauterbach fand den Vorschlag abwegig, ein Pflegeforscher sogar menschenverachtend. Die Frauenzeitschrift „Emma, glühende Verfechterin eines sogenannten Sexkaufverbotes, fragt in Richtung der Abgeordneten Scharfenberg „Geht’s noch!“.

Diese auch medial aufgenommene Erregung nimmt ein wenig Wunder, handelt es sich doch bei diesem Vorschlag eigentlich um einen solchen aus der behinderten-politischen Mottenkiste.

Das Thema Sexualassistenz und die Frage, inwieweit der Staat bzw. die Versichertengemeinschaft für die damit verbundenen Kosten aufkommen soll, wird schon sehr viel länger – mal mehr, mal weniger – diskutiert. Vorbild hierfür sind die Niederlande, in denen derartiges seit langem praktiziert wurde. Durch die aufklärerische Arbeit der „Mutter aller Sexualassistentinnen“ Nina de Vries wurde die Praxis aus dem BeneluxStaat auch in Deutschland bekannt. Innerhalb der Behindertenbewegung wird das Thema, wenn überhaupt, zwiespältig diskutiert. Andere Themen wie die Inklusion in den Bereichen Bildung, Wohnen und gesellschaftlicher Teilhabe standen und stehen im Vordergrund. Seit mehr als 20 Jahren bildet ein alter Protagonist der emanzipatorischen Behindertenbewegung, Lothar Sandfort, in seinem eigens dafür geschaffenen Institut in Trebel auch Sexualassistentinnen aus. Allerdings hat er sich mit den Jahren zunehmend von gemeinen Prostituierten abgegrenzt.

Der Vorschlag, die Kosten für Sexualassistentinnen von den Krankenkassen erstatten zu lassen, ist für die Behindertenbewegung auch deshalb problematisch, da Sie seit Jahr und Tag gegen eine Gleichsetzung von Behinderung und Krankheit ankämpfen. Diese legitime und auch notwendige Abgrenzung würde durch eine solche Praxis aber desavouiert. Andere Befürworter dieses Vorschlages finden diese Gründe zu akademisch und gehen praktisch an das Ganze heran. Viele Behinderte haben Aufgrund Ihrer eingeschränkten Mobilität oder Kommunikationsfähigkeit in der Tat Probleme, an geeignete (Sexual-)Partner zu gelangen. Ihnen bleibt dann, so die Argumentation,  quasi nichts anderes übrig, als sich sexuelle Dienste „einzukaufen“. Gleichzeitig verfügen sie oft aber nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel. Wiederum andere vertreten die Auffassung, nicht das Entgelt für die eigentlichen Dienste, sondern lediglich die damit verbundenen Kosten (Transport, Begleitung etc.) sollten von der Krankenkasse bzw. dem Sozialhilfeträger erstattet werden.

Matthias Vernaldi, bekannter und bekennender Kunde von Sexarbeiterinnen und Gründer der Initiative „Sexybilities“ wehrt sich zudem seit Langem dagegen, dass Menschen mit Behinderungen Sex alleine durch dafür gesondert ausgebildete Sexualassistentinnen in Anspruch nehmen sollen. Andererseits verkennt auch er nicht, dass es in bestimmten Situationen tatsächlich besonderer Fähigkeiten bedarf, damit es dann tatsächlich zwischen den jeweils Beteiligten zu schönen und lustvollen Ergebnissen kommt. Diese Ansicht vertritt auch die langjährige Hurenaktivistin Stephanie Klee. Sie arbeitet seit Jahren als Sexarbeiterin, engagiert sich politisch für deren Rechte und bietet seit einigen Jahren ihre Dienste auch in Alten- und Pflegeheimen an.

Die Diskussion wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass sich eben viele Sexualbegleiterinnen bemüßigt fühlen, sich von „normalen“ Prostituierten abzugrenzen. Hier schlägt sich die in der Gesellschaft leider weit verbreitete Doppelmoral nieder, wonach Sexarbeiterinnen immer noch etwas Kriminelles, zumindest Odiöses anhaftet, deren Dienste dann aber doch gerne, auch von Angehörigen der sich sittlich empörenden „oberen Zehntausend“ in Anspruch genommen werden.

Auch die Rechtsprechung war den Betroffenen in dieser Frage oft nicht hold. So entscheid vor vielen Jahren das Landessozialgericht Thüringen, dass die Inanspruchnahme von Prostituierten nicht der Eingliederung in die Gesellschaft diene. Folglich können die Aufwendungen auch nicht vom Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe erstattet werden. Das Bundessozialgericht hat gerade auch unter Bezugnahme auf die UN-Behindertenrechtskonvention entschieden, dass es der Krankenkasse nicht obliegt, erektionssteigernde Mittel, wie etwa Cialis, zu erstatten. Und auch im Zuge des neuen Bundesteilhabegesetzes wurde eine explizite Anspruchsgrundlage für die Erstattung von Kosten von sexuellen Dienstleistungen nicht verankert. Zudem treten die entsprechenden Regelungen auch erst im Jahre 2019 in Kraft.

Bestehen somit schon auf Seiten der Nachfragenden erhebliche tatsächliche und rechtliche Hürden, hat das seit dem 1. Juli 2017 in Kraft getretene ProstituiertenSchutzGesetz auch die Anbieterseite mit erheblichen Problemen konfrontiert. Dieses neue Gesetz wird von vielen Sexarbeiterinnen, im Übrigen auch völlig zu Recht, stark kritisiert. Es verpflichtet sie zu einer zwangsweisen Gesundheitsberatung und dazu, sich als Prostituierte bei den entsprechenden Behörden registrieren zu lassen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann diese Registrierung, die verbunden ist mit einer weiteren Zwangsberatung, auch abgelehnt werden. Insoweit handelt es sich um eine quasi verdeckte Konzessionierung für Sexarbeiterinnen. Auch die Betreiber von Bordellen müssen künftig durch Vorlage eines Betriebskonzeptes eine Erlaubnis beantragen. Diese Erlaubnis kann unter anderem auch dann verwehrt werden, wenn die Betreiber selbst Anzeichen von Zwangsprostitution ignorieren. Nach welchen Kriterien sie diese, sicherlich zu verurteilenden, Verwerfungen innerhalb der Sexarbeiterbranche erkennen sollen, gibt ihnen der Gesetzgeber aber nicht an die Hand. Es handelt sich bei dem ProstituiertenSchutzGesetz eigentlich um ein Prostitutionsverhinderungsgesetz. Gerade aus diesem Grunde haben jüngst mehrere Sexarbeiterinnen, Betreiber und auch einige Kunden beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht.

Zudem startete am 2. Juni diesen Jahres, dem internationalen Hurentag, in Berlin die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“ die von einem breiten Bündnis von Sexarbeiterinnen, deren Vertretungsorganisationen und Beratungsstellen getragen wird. Auch diese Kampagne macht sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen stark und wendet sich gegen das ProstituiertenSchutzGesetz.

Abgesehen von der drastischen Repression, denen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter künftig durch dieses Gesetz ausgesetzt sind, steht zu befürchten, dass es gerade auch für Kunden mit Behinderung noch schwieriger werden könnte, verständnisvolle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter oder für sie nutzbare Bordelle zu finden. Gerade auch die in Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe in verstärktem Maße praktizierte Sexualassistenz könnte nun durch das neue Gesetz einen solchen Makel erfahren, dass die Einrichtungen den entsprechenden Dienstleisterinnen aus Angst um ihren eigenen guten Ruf den Zutritt verwehren.

All diese verschiedenen Probleme, Sichtweisen und Erfahrungen sollen auf der am 23. Oktober 2017 stattfindenden Fachtagung Die Demokratisierung der Lust ausführlich erörtert werden. Die Initiatoren Stephanie Klee (move. e.V.), Matthias Vernaldi und Martin Theben, Autor dieses Beitrages freuen sich auf eine anregende und gutbesuchte Tagung.

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